Zeitzeugin
Gertrud Fussenegger hat sich schon sehr früh mit ihrer politischen Vergangenheit im "Dritten Reich" auseinandergesetzt. Die am 8. Mai 1912 im böhmischen Pilsen geborene Tochter eines k.u.k. Offiziers gehörte zu den "Heim-ins-Reich-Österreicherinnen", die eine großdeutsche Lösung und daher auch anfangs Hitler begrüßten. GF ist 1934 in die damals in Österreich verbotene NSDAP eingetreten. Später hat sie diesen Schritt zutiefst bereut. In ihrem Lebensbericht" Spiegelbild mit Feuersäule" (1979) hat sie ehrlich zugegeben, "ideologischer Süchtigkeit" erlegen zu sein.
"Wir haben viele gute Gedanken für eine Sache verwendet, die später ein Greuel war."
Schon 1954, lange bevor sich andere Autoren mit der damals jüngsten Vergangenheit auseinandersetzten, schrieb sie in ihrem 1954 erschienen Roman” In Deine Hand gegeben” über den Einmarsch in Wien:
” Da, vor dem Rathaus ein tausendstimmiger Aufschrei... Die Menge teilte sich, ein Lastkraftwagen fuhr heran. In Trauben hingen Männer an ihm in weißen Hemden, auf dem Fahrerhaus stand von rötlichem Licht bestrahlt, ein junger Mensch, ein Jüngling schön wie ein Genius und schwenkte die Fahne.
“Schön wie ein Genius” Nina! “Wie oft habe ich seither gedacht: Es war der Tod, der da wie ein Gott über uns hinwegbrauste, und wir alle, die wir Sicherheit und Wohlstand und Leben und Zukunft meinten, wir jubelten ihm zu. Irrtümer, Nina , entzetzliche , mit tausendfachen blutigen Opfern bezahlte Irrtümer. Dass wir leben, heißt irren und durch Irrtümer schuldig werden. Ich habe geirrt.”
Herbert Rosendorfer schreibt im Nachruf:
"Gertrud Fussenegger hat sich bald abgwandt, was ihre Mohrenlegende dokumentiert, und es ist ihr hoch anzurechnen, dass sie ihre schwarz-braune Sünde nicht leugnete oder beschönigte, wie so viele, die behaupteten, nur ihr Pferd sei bei der SS gewesen, sie selber nicht.
Es ist bedauerlich, dass ihr dies alles manche Tage verbitterte. Es ist ihre Größe, dass sie in ihren späteren Werken ruhig darüber hinweggeschrieben hat".
Der Autor Friedrich Denk setzt sich in seinem 1995 erschienenen Buch " Die Zensur der Nachgeborenen" kritisch mit einigen Schriftstellern und in besonderem mit Gertrud Fussengger auseinander. Er zitiert Manès Sperber, der 1977 schrieb:
" Dieses Jahrhundert war eine Kette fortgesetzter Prüfungen, für die niemend im voraus vorbereitet sein konnte. Bestanden hat diese Prüfungen niemand. Überstanden haben sie zahllose Millionen, die unsagbares Unglück erbten und es möglichst schnell vergessen wollten" .
Friedrich Denk schreibt über Gertrud Fusseneggers literarische Tätigkeit während der NS-Zeit: Doch die humanistischen Autoren, wie GF hatten in der NS Diktatur ( wie in allen Diktaturen) eine eminent wichtige Aufgabe.” Sie stärkten geistige Abwehrkräfte des Publikums und versicherten die Leser des eigenen Weges."
Die Dialektik der Vergangenheitsbewältigung führte jedoch dazu, dass sich auch hier neue Strukturen herausbildeten und verhärteten. Vergangenheitsbewältigung verflachte nicht selten zu bloßen Gesinnungssignalen, welche der Mühe tatsächlicher Verarbeitung aus dem Weg gingen, indem sie die Zugehörigkeit zu einem neuen Zeitgeist betonten. Gertrud Fussenegger hatte die Kraft, die Gültigkeit dieser Sätze auch in dieser Situation zu beweisen, indem sie sagte. " Schuldbekenntnisse werden entwertet, wenn sie allzu bereitwillig abgegeben werden" ( Peter Becher )
Zunächst also ( solange keine weiteren regimekritischen Bücher entdeckt werden) scheint es, daß Gertrud Fussenegger- trotz ihrer zeitweiligen Begeisterung für großdeutsche Ideen- mit ihrer Mohrenlegende den einzigen österreichischen Beitrag zur regimekritischen Literatur im Dritten Reich geleistet hat. Aus." Die Zensur der Nachgeborenen "
Die Überlebenden einer Katastrophe wundern sich immer darüber, dass sie das Heraufkommen des Unheils nicht früher empfunden, früher gewittert und an diesen oder jenen Signalen nicht abgelesen haben. Die Leute, die nicht mit dabei waren, wundern sich erst recht und geben jenen die Schuld, nicht früher erkannt, nicht früher durchschaut und sich vorgesehen zu haben. Ja, ja gewiß. Im nachhinein ist es nicht schwer, die damals schon deutlichen Zeichen der Hybris und des mörderischen Wahnsinns auszufiltern.
Aus dem Lebensbericht: " So gut ich es konnte."
Wir ahnten den Untergang. Wir ahnten unentwegt. Als Hitler an die Macht kam, als er die Verträge kündigte; als er seine Truppen ins Rheinland marschieren ließ; als der Putsch 1934 in Österreich inszeniert wurde. Wir hielten jedesmal den Atem an. Duckten uns und warteten, was würde geschehen?......aus dem Lebensbericht: "Spiegelbild mit Feuersäule"
Ja, wir erlebten Geschichte. Gegen neun, so hieß es, würden deutsche Truppen den Stadtrand erreichen. Die Menge stürzte ihnen entgegen. Ich geriet in einen Trupp, der durch die Altstadtgassen jagte. Da sah ich einen Mann neben mir stolpern, der Hut flog ihm vom Kopf, er taumelte, kippte vornüber. Die Menge rannte über ihn hinweg.
Ich dachte: der Mann. Ich dachte: der Gestürzte. Ich dachte: Ist ihm etwas geschehen? Ich dachte: du musst umkehren, hingehen, dich kümmern. Und wenn du es nicht tust, ist alles verloren.
Ich kehrte nicht um. Ich blieb nicht stehen. Ich ließ mich von der Menge weiterreißen... Aus: "Spiegelbild mit Feuersäule".
" Fast alle Romane Gertrud Fusseneggers sind in einem höheren Sinn Nachkriegsromane, Romane der Analyse des verdeckten Vorher des Krieges. Wenn die guten, aber durch inflationären Gebrauch zu Hohlformen erstarrten Begriffe der Vergangenheitsbewältigung und der Trauerarbeit noch verwendet werden dürfen, dann ganz besonders im Blick auf das Romanwerk von Gertrud Fussenegger." Frank-Lothar Kroll; Grenzüberschreitungen
" Gertrud Fusseneggers Roman ( In deine Hand gegeben erschienen 1954 ) ist die schroffe Auseinandersetzung mit Schuld und Schuldverdrängung der Deutschen, mit all den fatalen Alibivokabeln, durch die man sich seiner persönlichen Mitverantwortung für die Etablierung des Nationalsozialismus entledigen zu können glaubte. Da wird vor allem das" so deutsche Wort" vom " Schicksal" "als große Ausrede für alles, was geschieht und an Unglück hervorgerufen wird " entmythologisiert, als Flucht vor der Einsicht in die Schuld und Verantwortung die jeder allein zu tragen hat- auch die Autorin, die hier nicht mit dem Finger auf die anderen zeigt, sondern auf sich selbst ".Frank-Lothar Kroll; Grenzüberschreitungen